Österreich steht eine Pensionierungswelle bei den Ärzten bevor. Jeder fünfte Spitalsarzt und mehr als ein Drittel der niedergelassenen Ärzte werden innerhalb von zehn Jahren älter als 65 Jahre sein. Gleichzeitig spitzt sich die Situation bei den Nachwuchsmedizinern zu. Denn: Uniabsolventen warten aktuell ein Jahr und länger auf einen Ausbildungsplatz im Krankenhaus. „Bei den Verantwortlichen müssten da schon längst die Alarmglocken schrillen“, kritisiert Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte. Die Politik sei gefordert, Geld in die Hand zu nehmen und Stellen für die Ausbildung in den Spitälern zu schaffen.
Rund 1.200 Studierende schließen jährlich das Studium der Humanmedizin in Österreich ab. „Wir schätzen, dass etwa 300 davon, also ein Viertel, nicht nahtlos in die Basisausbildung in einer Krankenanstalt wechseln kann“, sagt Karlheinz Kornhäusl, Obmann der Bundessektion Turnusärzte. Denn: entsprechende Planstellen werden weniger oder für andere Tätigkeitsbereiche umgewandelt und fehlen nun in der Ausbildung. Angesichts eines sich abzeichnenden Ärztemangels wirft das kein gutes Licht auf die Verantwortlichen. „Die Jungen warten nicht. Sie gehen. Gerade die Engagierten, die wir gerne in unserem Gesundheitssystem hätten, scheuen sich nicht davor, das Land zu verlassen“, sagt der Turnusärzte-Vertreter.
Tatsache ist, dass die Anzahl jener Absolventen, die entweder nie in den Beruf einsteigen oder kurz danach wieder aussteigen, von Jahrgang zu Jahrgang wächst. „Aktuell beträgt die Dropout-Quote dramatische 38 Prozent“, berichtet Kornhäusl. Das bedeutet konkret: Von den 1.218 Medizinabsolventen des Jahrgangs 2015/16 haben sich 460 Uniabgänger bis 1. Jänner 2018 nicht in der Ärzteliste der ÖÄK eintragen lassen – oder taten dies nur vorübergehend – und sind somit heute nicht in Österreich ärztlich tätig.
Schaffung zusätzlicher Stellen für Ausbildung in Krankenanstalten gefordert
Die Österreichische Ärztekammer sieht einen dringenden Handlungsbedarf und fordert die Krankenanstalten auf, hier zusätzliche Stellen für Ausbildungsärzte zu schaffen, um die Wartezeit-Problematik zu lösen. „Die Länder sind gefordert, entsprechende Gelder zur Verfügung zu stellen“, fordert Mayer. Die dafür benötigten jährlichen Budgetmittel wären im Vergleich zu den Kosten, die Medizinabsolventen verursachen, die dem System später nicht zur Verfügung stehen, in jedem Fall geringer“, betont der Standesvertreter. Rund 227 Millionen Euro kostet dem Staat die Ausbildung der 460 Medizinabsolventen, die dem System später nicht mehr zur Verfügung stehen.1 Der volkswirtschaftliche Schaden sei enorm. Im Vergleich dazu hätte man von der Investition in Ausbildungsstellen einen doppelten Nutzen: Absolventen könnten ihre Ausbildung zeitnah abschließen und stehen gleichzeitig dem österreichischen Gesundheitssystem zur Verfügung.
„Der Ansatz der Politik, das Problem zu lösen, indem man zusätzliche Studienplätze zukauft, ist zu kurz gedacht. Wir brauchen in erster Linie nicht mehr Absolventen, sondern Rahmenbedingungen, die für Nachwuchsmediziner so attraktiv sind, dass sie auch in Österreich tätig werden wollen“, fordert Kornhäusl. „Wir haben professionell ausgebildete Mediziner. Ausländische Spitäler nehmen unsere Absolventen sehr gerne mit offenen Armen auf – vor allem unsere Kollegen in Deutschland und der Schweiz.“
Undurchsichtige Situation für Jungärzte nach dem Studium
Eine Erhebung der ÖÄK in den Landesärztekammern hat ergeben: Die Wartezeiten auf einen Ausbildungsplatz für die Basisausbildung betragen bis zu einem Jahr, vereinzelt auch länger. „Wir haben Rückmeldungen aus Oberösterreich, wo uns junge Kolleginnen und Kollegen von Wartezeiten bis zu eineinhalb Jahren berichten“, sagt Kornhäusl. Auch aus Tirol und Wien wurden Wartezeiten von bis zu einem Jahr genannt. Die Umfrageergebnisse differieren sehr stark nach Bundesländern und auch nach den Krankenanstaltenträgern. Generell ist die Situation für Jungärzte sehr undurchsichtig. „Und das können wir nicht akzeptieren“, betont Kornhäusl. „Wir fordern ein transparentes System bei der Verwaltung der Ausbildungsstellen.“
Auch nach der neunmonatigen Basisausbildung (die alle Absolventen – unabhängig davon ob sie sich für eine Ausbildung zum Facharzt oder zum Allgemeinmediziner entscheiden – durchlaufen), kann es zu neuerlichen Wartezeiten kommen, etwa auf eine Facharzt- Ausbildungsstelle.
Ausbildung muss von Krankenanstalten als eigene Verpflichtung wahrgenommen werden
Die Ausbildung muss von den Verantwortlichen in den Spitälern als eigene Verpflichtung wahrgenommen werden. „Es braucht in jedem Krankenhaus jemanden, der sich um die Ausbildung kümmert“, betont der Turnusärzte-Vertreter. In jedem Spital müsse es einen Ausbildungsoberarzt pro Abteilung geben, der für die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses definiert ist und auch entsprechend von seinem Dienst dafür freigestellt wird. „Es braucht einen Verantwortlichen, der sich dafür zuständig fühlt und darauf achtet, dass der Jungarzt auch das lernt, was laut Ausbildungsordnung vorgesehen ist.“
Die Politik ist in der Pflicht, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Fachärzten im Spital mehr Zeit zur Verfügung stellen, um Jungärzte auszubilden. Zudem müssen Arbeitsplätze im Spital attraktiver werden. Dafür braucht es die immer wieder geforderte Entlastung der Ärzte von Administrations- und Dokumentationsaufgaben. Der hohe Abgang der Jungärzte ins Ausland hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie dort bessere Ausbildungs- und Rahmenbedingungen vorfinden.
1 Berechnungsbasis: Bundesausgaben je Medizinabsolvent – im Durchschnitt 493.940 Euro laut Statistischem Taschenbuch 2017 des BMBWF – multipliziert mit der Zahl der 460 Absolventen, die aus dem System fallen.